Retrospektive
Erinnerung an die Gegenwart
Günter Dworaks jüngste Arbeiten sind in einem Atelier entstanden, in den übrig gelassenen Baulichkeiten einer ehemaligen Schachtanlage liegt, in Unser Fritz 2/3 in Wanne-Eickel. Das mag auf den ersten Blick belanglos erscheinen, wird doch nach allgemeinem Verständnis die Phantasie eines Künstlers nicht eben von den Räumen bestimmt, in denen er seinem Handwerk nachgeht. Bei Dworak hingegen ist die unmittelbare Arbeits-Umwelt, sind die Treppen und Gänge, die die Kumpel einst zur Anfahrt zu ihrer Arbeitsstätte nutzten, in vielfacher Hinsicht bestimmend für sein künstlerisches Schaffen.
Auch der Anlass, das Grubenholz aus dem Schacht als Material für plastische Objekte zu verwenden, kann nur auf den ersten Blick banal gewesen sein: Als man die Hölzer, von hundertjährigem Staub überzogen, ans Tageslicht holte und unweit seines Atelierfensters auftürmte, protestierte Dworak gegen die totale Vernichtung der nun unnützen Materialien mit dem Hinweis auf den hohen Erinnerungswert von Gegenständen, die einst menschliche Arbeit begleitet und gesichert hatten.
Zugleich faszinierte ihn, dass die Hölzer nahezu ein Jahrhundert überdauert hatten und dass sie, so die Vermutung, ihre eigene Geschichte hergeben würden, zum einen im Bestand ihrer Qualität, die hohen Belastungen Stand gehalten hatte, zum anderen in den Versehrungen, in den Rissen, den Aufsplitterungen und Verbiegungen, in Abnutzung und Zerstörung. So trat - neben den persönlichen Erinnerungswert - der Symbolwert eines Materials, das in seinen verschiedenen Erscheinungsformen als Produkt der Natur und als Werkstoff etwas vom Umgang des Menschen mit den irdischen Stoffen preisgibt.
Günter Dworak, der bereits in jungen Jahren Erfahrungen mit der sogenannten ,,Kunst am Bau1' sammelte, hat sich in jüngerer Zeit verstärkt mit dem Problem der Raum-Kunst auseinandergesetzt, das heißt, konsequent den Weg vom bloßen plastischen Objekt zum gestalteten Raum erprobt. Was hier unter dem Titel ,,Zeitsignale" zusammengefasst ist, zeigt verschiedene, stark kontrastierende Möglichkeiten des Environments, das vor allem aus einem szenischen Gestus lebt. So kommt es nicht von ungefähr, dass ein so düsteres Thema wie das Waldsterben durch Sauren Regen in der Form einer Guckkasten-Bühne abgehandelt wird, wobei die Versatzstücke - Kulissenbilder, Textfahnen, ein Kranz, Spiegelwände - und schließlich die Lichteffekte unmittelbar eine Theatersituation herstellen. Wohl kann man - im Gegensatz zum üblichen Bühnengeschehen - den Theaterraum umschreiten. Damit ist aber auch die Möglichkeit des Betrachters, aktiv zu werden, schon abgegrenzt. Die Künstlichkeit dieser Situation, der verordnete Zwang zur Passivität provoziert die Betroffenheit - die Bühne wird zum provokativen Gruselkabinett.
Dagegen stimmt die ,,Hommage an den Bergmann" eher melancholisch. Die Bronzemasken in der
Abfolge von Portrait bis zur Totenmaske sind auf die stelenartigen Grubenhölzer geheftet, halb
Ehrenmal, halb Totenmal. Dass Dworak in früheren Jahren auch in der Sakralkunst (Portale, Amben
u. a.) zu Hause war, lässt sich nicht übersehen. In der Abfolge der Objekte werden kreuzwegartige
Stationen durchschritten, aufgehängt an so ,,profanen' Realitäten wie Arbeitsplatzvernichtung und
Betriebsschließungen, was immer die Gründe gewesen sein mögen. Nicht die Herren der
(Wirtschafts-)Geschichte werden hier denkmalwürdig, vielmehr die Opfer.
Welche sinnlichen Qualitäten, also gefühlsbestimmte Werte der Arbeitsplatz vermittelt, zeigt Dworak
an einer weiteren Objektgruppe. Auf Holzstößen findet sich, sorgsam in Blei ausgeführt, was den
Alltag unter Tage begleitet: Handtuch und Kaffeepulle, Arschleder, Schutzschuhe und
Schnupftabakdose. Das kühle Arrangement erzeugt Spannung, so als bedürfte es nur eines
Augenblicks, und der Kumpel kehre an seinen Arbeitsplatz zurück. Die Illusion wird von der
Wirklichkeit vernichtet.
Eine kleine Auswahl von Gemälden zeigt Dworaks hintergründiges Verfahren der dialektischen Zuspitzung: Ein Spielmannszug musiziert vor einer Bergehalde, der Maschinist steht mit dem Rücken zur Seilscheibe, als ginge ihn das alles nicht mehr an, drei Männer spielen Skat vor einer Häuserkulisse, als müssten sie die Zeit totschlagen, und selbst das Kind auf dem Pferdchen-Karussell hebt wie abwehrend die Hand, als haben sich die Freude weggestohlen wie ein ungebetener Gast. Zeitsignale - kein Grund zum Jubeln in der schönen neuen Welt des elektronischen Zeitalters.
Dem steht ein Zyklus von Bildern gegenüber, die Dworak Ikonographien nennt, nicht im Sinne der Kunstwissenschaft, vielmehr in direktem Bezug zum festumrissenen Begriff der Ikone als Kultbild, wenn auch mit einem überschaubaren Vorrat an symbolischen Zeichen und Texturen, an Farbklängen (Gold, Silber, Rot, Blau, Grün) und an verschlüsselten Hinweisen. Anknüpfungen an Dworaks frühe Arbeiten aus dem Geist des Informel sind evident. Die lyrische Grundtendenz verleiht den Bildern Ausgewogenheit und Ruhe, Innerlichkeit und Harmonie. Zeitsignale? Gewiss. Denn Kunst kann auch von Sehnsüchten, von Träumen und Hoffnungen .......
Manfred Bourree
Erinnerungen von einem Freund und Kollegen
zur Ausstellungseröffnung am 19. Januar 2001
in der Städtischen Galerie im Schloßpark Strünkede , Herne